Begegnung mit Thomas Hürlimann   

(25. Oktober 2001)

Zum Buch

In seiner Novelle Fräulein Stark erzählt Thomas Hürlimann von einem etwa zwölfjährigen Jungen, der sich in den sechziger Jahren in der Schweiz in zweifachem Sinne mit dem 'Geschlecht' konfrontiert sieht: mit der erwachenden Sexualität sowie mit den Vorfahren jüdischer Herkunft. Der Ich-Erzähler verbringt einen denkwürdigen Sommer unter der Aufsicht Fräulein Starks, der Haushälterin seines Onkels, eines Prälaten, der als Bibliothekar die berühmte Stiftsbibliothek von Sankt Gallen leitet. Der kleine Katz hocke, so der Autor in einem Gespräch, vor der Schwelle zur Bibliothek und zum Leben.

Zur Rezeption

Für erste Aufregung sorgte Mitte Juli in der Schweiz die Reaktion von Hürlimanns Onkel Johannes Duft, der seine auf den 1. August datierten "Bemerkungen und Berichtigungen zum Buch 'Fräulein Stark' von Thomas Hürlimann" als Broschüre vorlegte, in der er zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden versucht. Einen Monat später erhob Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett den skandalösen Vorwurf, das Buch sei antisemitisch und die Kritik habe versagt, indem sie den jüdischen Hintergrund nicht bemerkt habe. Am 21. August fängt der Perlentaucher (www.perlentaucher.de) an, Material zu einer kommenden Debatte zu sammeln. Der Ammann Verlag (www.ammann.ch) reagiert mit einem Newsletter ('Fräulein Stark'-Spezial). Hürlimann erklärt: "Ich will keine Thesen verbreiten. Ich bin Erzähler" (NZZ, 28.08.2001).

Zum Autor

Thomas Hürlimann wurde 1950 in Zug geboren und ist in der Innerschweiz aufgewachsen. Er besuchte die Stiftsschule Einsiedeln. Danach studierte er Philosophie in Zürich und Berlin. Seit 1985 lebt er in Willerzell (CH). Die Spannung zwischen Heimat und Fremde ist von Anfang an ein zentrales Thema in Hürlimanns Werken, zum Beispiel in den Theaterstücken Grossvater und Halbbruder (1981) und Der Gesandte (1991). Der erste Erzählband Die Tessinerin (1981) wurde in 6, die Novelle Das Gartenhaus (1989) in 13 Sprachen übersetzt. Fräulein Stark (im 20. Jahr des Ammann Verlags) ist jetzt schon in dritter Auflage erschienen. Der Autor erhielt in den letzten Jahren drei wichtige literarische Auszeichnungen: den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung (1997), den Solothurner Literaturpreis (1998) und den Joseph-Breitbach-Preis (2001).


Deze ontmoeting wordt georganiseerd met de steun van Pro Helvetia